Herr Baldeweg, warum sind Sie Pfarrer geworden?
Das ist eine Geschichte der ersten dreißig Jahre meines Lebens. Ich war als evangelischer Junge zehn Jahre in einem katholischen Internat, einem Marienorden. Zu der Befruchtung meines Glaubens haben dabei einzelne Bezugspersonen, z.B. ein Religionslehrer, beigetragen. Insgesamt war das ein Prozess, kein einzelnes etwas. Bei den wenigsten waren Einzelereignisse für so eine Entscheidung ausschlaggebend, wie bei Paulus, bei dem ein Moment der Erblindung und der Begegnung mit Jesus genügte, sein ganzes Leben für immer zu ändern. Von meinem Vater kommt meine Entscheidung ganz sicher nicht, denn der war Polizist. Allerdings ist nachweisbar, dass meine Familie seit der Reformation evangelisch ist. Bei der Entscheidung für diesen Beruf war ich anfangs mehr an der wissenschaftlichen Theologie interessiert, habe dann aber bei der Gemeindearbeit gemerkt, dass das das Richtige für mich ist. Meiner Meinung nach übe ich als Pfarrer den schönsten Beruf der Welt aus, aber es ist gleichzeitig keine normale Tätigkeit, sondern eine Berufung, und die muss man spüren.
Haben Sie eine Beziehung zu Jesus Christus?
Ja aber klar, eine ganz persönliche.
Wie würden Sie diese Beziehung beschreiben? Könnten Sie von sich selbst behauten, dass Sie Ihn lieben?
Ja, so ähnlich wie meine Kinder, oder wie die Menschen, denen ich begegne. Jesus ist für mich ein gutes Gegenüber: Er ist das Brot des Lebens, der Weg, die Tür zu Ihm, die Auferstehung, das Leben etc., wie es in den „ich – bin – Worten“ im Johannesevangelium treffend niedergeschrieben ist. Man kann kein Christ sein, ohne eine Beziehung zu Jesus zu haben. Zwar ist diese bei jedem unterschiedlich, aber ohne kann es gar nicht funktionieren, da Jesus Christus für eine zweite Chance, Vergebung und einen Neuanfang steht.
Was ist Ihrer Meinung nach der Sinn des Lebens?
Es gibt nicht d e n Sinn, d.h. mein Sinn ist nicht derselbe wie der meines Nächsten. Der Sinn kommt nicht von außen, sondern von innen aus mir heraus, ich gebe also meinem Leben selbst einen Sinn. Empfehlenswert ist passend zu dieser Frage der Film „Der Sinn des Lebens“ von der britischen Komikertruppe Monty Python, von denen auch „Das Leben des Bryan“ ist. Mit ihrem tiefschwarzen britisch-makabren Humor zeigen sie, dass es nicht den einen Sinn für alle gibt und braucht. Der Glaube und Religion sollen helfen, in seinem Leben Sinn zu entdecken, denn ein Leben ohne Sinn wäre sehr schade! Außerdem ändert sich der eigene Lebenssinn je nach Alter oder auch im Beruf. Es wäre ja eine grausame Vorstellung, wenn der Sinn immer für alle gleich bleiben würde.
Wie stehen Sie zur Bibel?
Die Bibel ist Wort Gottes, die Offenbarungsquelle und es wert, über jede einzelne Bibelstelle zu diskutieren. Sie ist die Urkunde des christlichen Glaubens und der dokumentierte Erfahrungsschatz der Menschen mit Gott in ihrem Leben, also ihre Interpretation ihres Lebens mit Gott. Für mich ist die Bibel Gottes Wort in Menschenwort und es wert, sich mit ihr zu beschäftigen und nicht nur oberflächlich zu lesen. Ich bin froh, als Pfarrer im Studium Latein, Altgriechisch und Hebräisch gelernt zu haben und so die Bibel im Original lesen zu können.
Warum? Bemerken Sie Unterschiede zwischen der Bibel im Original und den deutschen Übersetzungen?
Man hat so den Bedeutungshorizont der einzelnen Worte besser vor sich. Man muss nämlich in anderen Sprachen denken können, anders geben bestimmte Phrasen keinen Sinn, zum Beispiel das englische „raining cats and dogs“. So auch in der Bibel: Manche Schlüsselworte ergeben in der Originalsprache viel mehr Bedeutungsnuancen und sind größer aufgefächert. Die deutschen Übersetzungen geben sich viel Mühe, die Bibel richtig wiederzugeben, und das ist auch gut so. Ich für mich halte die Lutherübersetzung für die genialste.
Haben Sie sich als Kind auch schon für Religion interessiert?
Ja und nein. Alle Kinder interessieren sich ja in einem bestimmten Rahmen für Religion, aber auf kindlichem Niveau. Und wie lange ist man schon Kind? Während der einzelnen Stufen der Kindheit verändert sich das eigene Denken, wobei sich jeder Mensch schon immer die Fragen stellt, woher man kommt und wohin man geht. Auch liegt das kindliche Interesse am Familienumfeld. Ich selbst habe als Kind den Kindergottesdienst besucht bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich meinen Vater fragte, warum ich in die Kirche gehen müsse und er nicht auch einen Erwachsenengottesdienst besuche. Ich wurde von meinem Elternhaus nicht wirklich religiös erzogen, aber auch nicht areligiös. Mein Vater war nämlich Jahrgang 1922 und hatte wegen des Krieges andere Fragen als religiöse, denn es ging darum, ein Auskommen zu haben, zu überleben. Ich war also wie alle Kinder religiös, aber dieser Kinderglaube muss sich weiterentwickeln, er darf nicht naiv stehenbleiben. Für das Kinderalter ist es zwar hilfreich, die Welt in Gut und Böse zu unterscheiden, um gut in die Welt hineinwachsen zu können, aber auf diesem Niveau darf man nicht stehen bleiben, sondern man muss lernen, mit den verschiedensten Schattierungen und Differenzierungen das Leben zu erklären. Auch macht nicht jedes Kind eine zu hundert Prozent gleiche Entwicklung durch, denn vor allem im Glauben ist Individualität sehr wichtig.
Welche Religion finden Sie neben dem Christentum interessant?
Alle Religionen sind grundsätzlich interessant, aber am spannendsten finde ich die drei monotheistischen Religionen: Ohne das Judentum wäre die christliche Religion aufgrund des identischen Alten Testaments nicht verstehbar und den Islam finde ich ebenso bedenkenswert. Allerdings nicht den Islamismus, denn dieser ist weder interessant noch hilfreich für die Welt. Auch Naturreligionen sind interessant und verstehenswert, weil Menschen immer anders mit Religionen umgehen. Insgesamt gefallen mir also alle Religionen, die den Menschen helfen, ihren Alltag zu bewältigen. Heutzutage wird das leider nicht mehr so gesehen, denn jetzt gibt es diese elektrischen Helfer. Daher kommen auch die vielen Kirchenaustritte. Ich versuche den Menschen zu sagen, dass die Religion hilft, dass du du selbst wirst und kritische Fragen stellen kannst. Auch Naturvölker und den Buddhismus finde ich interessant, wobei sich letzterer mit seinen Gedanken der Wiedergeburt fundamental von dem der christlichen Auferstehung unterscheidet. Insgesamt versuchen alle Religionen nur, Antworten auf Grundsatzfragen zu finden, wobei das, was daraus gemacht wird, nicht immer lustig ist, wie es uns beispielsweise die Kreuzzüge deutlich vor Augen führen.
Glauben Sie, dass der Gott der Juden, der Christen und der Muslime der gleiche ist?
Ich glaube, da gibt es überhaupt keinen Unterschied, denn Gott ist Gott. Unterschiede gibt es nur im Verständnis und der Umsetzung des Glaubens. Peinlich ist es allerdings, wenn Gott als Rechtfertigung für die eigene Intoleranz missbraucht wird, denn so etwas ist keinesfalls gottgewollt. Gott bevorzugt auch keine Religion, sondern ist derselbe Gott für alle, nur gibt es andere Zugänge, welche wiederum kulturell geprägt sind. So hat auch ein Ackerbauer einen anderen Zugang zu Gott als ein Viehhirte, damit meine ich, dass Kain einen anderen hatte als Abel, jedoch hatten sie aufgrund der Verschiedenheit ihrer Zugänge großen Streit, am Ende brachte sogar der einen den anderen um. Deshalb finde ich, in Religionen erfährt man viel mehr über die Menschen als über Gott, denn uns wird hier unsere eigene Intoleranz und Grausamkeit deutlich vor Augen geführt. Aber da kommt der Mehrwert des Christentums in Spiel, denn unser Gott ist ein Versöhner für alle. Wir sehen das auch am Gleichnis des Verlorenen Sohnes: Der Vater ist offen für den Sohn, egal, aus welcher Religion und Kultur dieser kommt, und wenn der Sohn zurück zu seinem Vater kommt, dann sagt letzterer nicht, er solle sich doch erst waschen, bevor er zu ihm komme, sondern der Vater rennt auf ihn zu, nimmt ihn in die Arme und macht eine riesengroße Fete. Aber der Bruder ist sauer. Da sehen wir wieder, wie daneben sich der Mensch benimmt, wo doch sein Bruder wieder gerettet ist.
Und nun zur letzten Frage: Welche Person aus unserer religiösen Geschichte würden Sie gerne treffen, hätten Sie die Möglichkeit?
Als lutherischer Pfarrer natürlich Martin Luther: von rauer, rustikaler und bodenständiger Art, so wird er zumindest immer dargestellt, was allerdings nicht sicher stimmen muss. Mit ihm möchte ich gern Schafkopf spielen, aber bekannterweise braucht man dazu vier Personen. Dann möchte ich mich mir auch Kaiser Karl V. zu unserer Schafkopfrunde wünschen, und als Vierten auf jeden Fall keinen von den Päpsten, die sind nämlich meist zu humorfrei, um über andere oder sich selbst lachen zu können, deshalb nehme ich mir noch Friedrich den Weisen, einen Kurfürst aus Sachsen. Mit diesen Personen wird die Runde sicher sehr lustig, und zwischendrin könnten wir viele interessante Dinge besprechen.
Veronika Weiß (9a)